Adolf Hitler als „Spiegel der Gesellschaft“? Filmkritik zu „Er ist wieder da“
2014 – Deutschland ist Fussball-Weltmeister, PEGIDA organisiert radikal-rechte Aufmärsche mit teils weit mehr als zehntausend Teilnehmern. Das Hooligan-Bündnis HoGeSa randaliert in Köln, rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien fahren mitten in Europa Wahlerfolge in bisher ungeahnten Dimensionen ein. Die ersten Flüchtlingsunterkünfte brennen. Und Adolf Hitler ist auch wieder da.
Von Felix Benneckenstein
Da erhebt er sich also. Auferstanden aus einem tiefen Nebel, die bekannte Uniform von den Zeichen der Zeit geprägt. Sturmzerfetzt. Ein Mann, vom Kampf gezeichnet. Die Augen verschlossen, die Hände in soldatischer Manier über dem Bauch zusammengelegt.
Es sind nur die ersten Sekunden, in denen man diesem Film vorwerfen kann, den Diktator Hitler heroisch zu zeigen. Denn: Mitten in grau-dunkelgrauen Wohnblöcken liegt ein verwirrter Mann auf dem Boden, im Dreck und schläft. Ungewaschen, er riecht unangenehm, wie ihm mehrfach im Film gesagt wird. Es kann also an dieser Stelle beruhigt werden: Hitler ist den gesamten Film hindurch mindestens ein Freak. Doch mit politischem Fingerspitzengefühl gelingt ihm ein weiteres Mal der Sprung in die Mitte.
Der Film ist selbstverständlich fiktiv und schweift an einigen markanten Stellen auch stark vom 2012 erschienen, gleichnamigen Buch ab. Doch: Was wäre, wenn…? Was würde Adolf Hitler heute machen, mit diesem Mob „besorgter Bürger“? Würde er eine neue NSDAP gründen oder vorhandene rechtsradikale Gruppierungen militarisieren, Terroranschläge planen, ganz still, im Kämmerlein?
Mitnichten. „Ich brauche mehr Informationen über meine Lage“, sagt der strategisch denkende Zeitreisende. Studiert Zeitungen, Stimmungen, spricht mit Menschen, reist, begleitet von einem bis dato erfolglosen TV-Journalisten, durchs Land. Erschrocken ist er, dass es Polen noch gibt. „Da hätte ich mir den Krieg sparen können!“. Eine wichtige Anspielung. Deutsche Geschichtsrevisionisten leugnen neben dem Holocaust auch und vor allem die Vernichtungsstrategie der Deutschen gegenüber den Polen, um die Kriegsschuldfrage damit zu verdrehen.
Man muss sich einige Szenen des Filmes auf der Zunge zergehen lassen. Etwa als er, der laut einem nicht zu unterschätzenden Anteil unserer Gesellschaft „nicht nur schlechtes gemacht hat“, sich um ein ordentliches Auftreten bemüht. Da steht er also, in einer dreckigen, weißen Feinripp-Unterhose in einem Berliner Reinigungs-Geschäft und gibt seine Uniform ab. Die gebrochen Deutsch sprechende Verkäuferin kann sich das Lachen nicht verkneifen. So kann er jedenfalls nicht rumlaufen, hier hier in Deutschland, der Adolf. Sie hat Mitleid, fast schon mütterliche Gefühle.
Geschickt vermischt der Film immer wieder Fiktion und Realität. Während man bei einigen Sketchen auf Schauspieler setzt, tauchen aber auch immer wieder waschechte, reale Neonazis und Wutbürger auf, bei Demonstrationen, am Strassenrand, in Einzelgesprächen. Auch das geschulte Auge von Szene-Kennern wird nicht jede Situation auf Anhieb als „echt“ oder „gespielt“ einordnen können.
So hat man es jedenfalls geschafft, unter Anderem den langjährigen NPD-Spitzenkader Karl Richter zu einer bemerkenswerten Aussage zu bringen. Würde der Münchner Stadtrat, der sich nach außen gerne als Saubermann gibt, dem Massenmörder Hitler denn folgen? „Wenn sie ‘der Echte’ wären, vermutlich schon…“ Hat der das wirklich gesagt? Ja, nachdem er darum gebeten hat, die Kamera „kurz“ auszuschalten.
Es ist nicht Richters erster Auftritt im Kino. Szene-Intern wurde er dafür bejubelt, im Film „der Untergang“ als Komparse einen Wehrmachtssoldaten zu spielen, der ebenfalls Hitler direkt gegenüberstand. Vermutlich wollte Richter, der innerhalb der deutschen Neonazi-Szene mehr und mehr in den vergangen Jahren an Bedeutung verlor, mit diesem Comeback daran anknüpfen.
Doch er tut sich nicht selten schwer, seinen Fetisch zu verstecken. Rechtskräftig verurteilt wurde er wegen eines Hitlergrußes bei der Vereidigung im Münchner Rathaus, er bestreitet vehement, die Handbewegung bewusst gemacht zu haben. Das war lange vor seinem Blitz-Auftritt in „er ist wieder da“. Schwer vorstellbar ist dies, bei einem Mann, der sich zeitlebens mit Militär, dem Deutschen Reich und dem Nationalsozialismus beschäftigt. Nach dieser Aussage jedoch gibt es keine weiteren Fragen an Karl Richter. Alleine dafür sollte man dem Film dankbar sein.
Dass Hitler ( im Film ) so erfolgreich werden kann, ist seinem Umfeld zu verschulden. Einige nehmen ihn nicht ernst. Viele lachen ihn aus. Doch inhaltlich gibt es Übereinstimmungen. In unzähligen Diskussionen. Die freundliche Dame von der Currywurst-Bude muss erst über „zu geringe Löhne“ und soziale Ungerechtigkeiten an das Thema Rassenvermischung herangeführt werden. Mehr Freude hat Hitler da dann doch am „besorgten Bürger“, der Nationalismus frönt und Punks zusammenschlägt. Die verheerende Mischung aus Ignoranz, Akzeptanz und Zustimmung, die der Film überspitzt zeigt, ist ebenfalls aus der Realität übernommen. Damals wie heute.
Im Film wird Hitler nur von einer einzigen Person angefeindet. Eine alte Dame, die offensichtlich Jüdin ist, glaubt zu wissen, was ‘er’ vor hat. Und sie hat ihm nichts verziehen. Alle anderen Menschen begegnen ihm im besten Falle noch mit dem Wunsch nach einem Selfie – allerdings auch sehr häufig mit einem Hitlergruß. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei wieder um reale Szenen.
Erst, als „Der Führer“ einen kleinen, niedlichen Hund erschossen hat, ist es vorbei. Eine Zeitung, die sehr an die Gestaltung der BILD erinnert, die vorhin noch sein Comeback feierte, ist nun plötzlich entsetzt, distanziert, fordert quasi seinen Rauswurf. Neonazi Karl Richter ist entsetzt über dieses Detail, dass im Buch „nicht vorkommt“. Klar ist er das. Denn sonst hätte es ein Film werden können, in dem sich wirklich die Schreckensherrschaft des Dritten Reiches am Ende wiederholen kann. Für Neonazis wie Richter wäre dies ein „happy end“, es ist ihre Lebensaufgabe.
Richter ist neben der Kürze seines Auftrittes auch verärgert darüber, dass Hitler „blaue Augen hatte“, der Schauspieler Mario Masucci hingegen braune. Dieses Detail scheint dem Mann besonders wichtig zu sein. „Sowas stört“, schreibt er. Dabei hätte man ihm sagen müssen, dass es hier nicht darum ging, Karl Richters Vorbild Adolf Hitler möglichst detailgetreu darzustellen.
Es lässt sich wohl kaum vermeiden, dass bei der breiten Palette an Filmen über und mit Hitler – in Farbe, schwarz-weiss, HD, 3D und 4K – manches irgendwie „schon mal dagewesen ist“. ‘Hitler sells’ eben. Doch der Film spielt damit bewusst, einige Szenen sind unverkennbar auch witzig nachgestellte Szenen, etwa aus „Der Untergang“.
Ein oftmals nerviges, weitreichend bekanntes Phänomen in Kinosälen: Menschen, die sich eine Komödie ansehen und mit der Erwartung hineingehen, alle zwei Minuten mindestens ein mal laut gelacht zu haben. Das ziehen in der Regel auch einige Kinobesucher bis zur letzten Szene durch – egal, ob etwas wirklich witziges auf der Leinwand passierte, oder eben nicht.
„Er ist wieder da“ ist jedoch keine Komödie, sondern Satire, die reale Begebenheiten mit in die Handlung aufnimmt. Und weder an den Gräueltaten des selbsternannten „Dritten Reiches“, noch an den heutigen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte ist irgendetwas „lustig“.
Es ist weit mehr als nur gewöhnungsbedürftig, wenn in deutschen Kinosälen unzählige Menschen lachen, wenn im Film Juden – und Ausländerwitze gemacht werden. Wenn jemand, der Adolf Hitler spielt, sagt, dass er gegen Überfremdung „mit dem Kammerjäger“ vorgehen möchte. Das Experiment, wie viel Chancen jemand wie Hitler heute – nach allem, was wir heute über damals wissen – hätte, beginnt also bei „er ist wieder da“ bereits im Kinosaal. Beim Sitznachbarn – oder vielleicht auch bei sich selbst.
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