Nazis in Klebestreifen: Neonazis demonstrieren in Bad Nenndorf für die Entfernung von Nazi-Tattoos
Etliche Neonazis sind schwer tätowiert. Das soll die Ewigkeit der nationalsozialistischen
Überzeugung symbolisieren. Doch was passiert, wenn diese Ewigkeit dann doch endet?
Selbst, wenn der tätowierte Neonazi aussteigt: Das Hakenkreuz bleibt ein Nazi-Symbol,
dass ihn täglich an die eigene Vergangenheit auf eine schmerzhafte Art und Weise erinnert.
Außerdem bleibt es verboten. Die Initiative “Rechts gegen Rechts” möchte dem Thema mit
einer weiteren Auflage des „unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“ nun breitere
Beachtung schenken.
von Felix Benneckenstein
Tätowierungen, „Farbe auf der Haut“, Körperbemalung. Vom individuell
gestalteten Kunstwerk, oder der Verzierung eines bis zur scheinbaren
Perfektion trainierten Körpers, bis hin zum bekannten „Anker“, oder drei
verschwommenen Punkten in der Daumenschneise, als Zeichen, nun für immer
„zu den Bösen“ zu gehören: Wer sich tätowieren lässt, der setzt -
zumindest beim ersten Mal – damit auch ein Zeichen nach aussen. „Ich
bin (jetzt) tätowiert“. Es scheint sich damit ein neues Lebensgefühl zu
entwickeln, ein Stück Identifikation. Man tätowiert sich – oder besser
gesagt lässt sich meist das tätowieren, was einem in dieser Zeit eben
wichtig ist. Manchmal möchte man vielleicht sogar an den jeweiligen
Lebensabschnitt auch noch erinnert werden, wenn dieser vorüber ist. Für
manche ist so etwas eben der Name der „ersten große Liebe“ – für Thomas*
ist es das Konterfei eines SS-Soldaten.
Relikte der (Nazi-)Jugend: Alte Narben trüben den Alltag
Vor über fünf Jahren hat Thomas die Neonazi-Szene verlassen. Vieles hat
sich seither normalisiert in seinem Leben, mehr noch: Über den
Lebenswandel haben sich für ihn komplett neue Perspektiven ergeben, die
er auch annimmt. Vieles dreht sich in seinem Leben heute also um seine
Zukunft. Aber Thomas trägt tiefe Narben in seiner Haut, die ihn jeden
Tag ein Stück zurückwerfen. Vor allem, weil er mit dem Ausstiegsprozess
mehr und mehr das gesamte Ausmaß seiner neonazistischen Körperbemalung
zu erfassen begann. Denn auf der einen Seite ist dort er, der
Aussteiger, der diese Symbole jeden Tag an sich trägt und daran nicht
immer leicht zu nagen hat. Aber die Aufarbeitung der früheren Ideologie
beinhaltet natürlich auch: Zu verstehen lernen, dass man sich in dieser
Zeit klar für die Seite der Täter positioniert hat.
Thomas steht Tätowierungen auch heute generell alles andere als negativ
gegenüber. Für ihn würde jedoch einiges leichter sein, wenn er sich
zumindest in seiner Neonazi-Zeit nicht körperlich bemalen hätte lassen,
das lässt sich nicht bestreiten. Denn die abgelegte menschenfeindliche
Ideologie, die ist ihm nach wie vor „als Kainsmal auf die Haut
gezeichnet“, wie er es umschreibt. Ein Gefühl der Scharm liess ihn, seit
seiner Abwendung von der Neonaziszene, seine Tattoos bedecken. „Über
drei Jahre hinweg waren kurze Hosen für mich Tabu und bis heute – mehr
als fünf Jahre nach meinem Ausstieg – kann und will ich wegen der
Tattoos nicht öffentlich baden.“
Psychoterror auf der eigenen Haut – es begann mit dem „ersten Mal“…
An sein erstes Tattoo erinnert er sich noch sehr genau. Damals war er
17. Er hätte also, noch nicht volljährig, noch die elterliche
„Genehmigung“ benötigt, um sich ganz legal „bemalen“ zu lassen – die er
vermutlich auch bekommen hatte. Diesen „Körperschmuck“, wie Thomas es
nennt, lehnte seine Mutter damals prinzipiell nicht ab. Sie sei selbst
tätowiert. „Jedoch fragte ich meine Eltern trotzdem nicht, da sie mit
dem Motiv – einem SS-Soldaten inklusive Runen – ganz sicher nicht
einverstanden gewesen wären.“
In diesen, vorgeblich „revolutionären“ Kreisen gelten Regeln und Gesetze
gemeinhin als „überbewertet“. Und so ging alles ganz unkompliziert: „Ich
fuhr mit einem Kameraden zu Freunden von ihm. Ein bekannter Neonazi und
rechtsextremer Sänger, der ein eigenes Tattoo-Studio betreibt, hatte
gerade Zeit und scherte sich nicht um die Erlaubnis meiner Eltern, so
war es auch ausgemacht..“ Ab diesem Tag prangerte auf seiner Wade dieses
nationalsozialistische Konterfei. Es sollte nicht die letzte Tätowierung
dieser Art gewesen sein. Wie Thomas geht es vielen Aussteigerinnen und
Aussteigern aus dieser Szene. Einige berichten, dass für sie der
morgendliche Blick in den Spiegel „reiner Psychoterror“ sei. Die Sache
mit dem „nicht baden gehen“ wird besonders bei Neonazi-Aussteigern, die
inzwischen selbst Eltern geworden sind, oftmals zu einem immer
wiederkehrenden großen Hindernis im Alltag. Mit dem ideologischen Bruch
wird aus dem einstigen „Körperschmuck“ eine immer tiefer zu sitzen
scheinende offene Wunde.
Wie hoch ist der Preis, den ein Aussteiger oder eine Aussteigerin für
seine oder ihre Vergangenheit bezahlen muss? Wer sich mit Menschen
unterhält, die sich über Jahre in der Neonazi-Szene aufhielten, wird
feststellen: Ein verbotenes Nazi-Tattoo gehört dort zum „guten Ton“. Es
demonstriert Ewigkeit, tiefe Überzeugung. Es unterscheidet in manchen
Kreisen „Scheitelträger“ von „freien Radikalen“. Das bedeutet natürlich
auch, dass ein sehr erheblicher Anteil an Aussteigern entsprechend
tätowiert ist. Dies sind Faktoren, mit denen Initiativen wie
EXIT-Deutschland in ihrer täglichen Arbeit zu tun haben. Die Entfernung
von Tattoos ist also ein Schritt, der irgendwann im Ausstiegsprozess
dringend angegangen werden muss. Und es gibt Wege: Das „covern“ von
Tattoos, also die Übermalung, macht aus mehreren kleinen Hakenkreuzen
zum Beispiel einfach die Schuppen eines Krokodils. Mittels
Laserentfernung ist es in einigen Fällen sogar theoretisch möglich,
weitgehend den Ursprungszustand wiederherzustellen. Doch schon die
Veränderung oder gar Entfernung einer einzigen, kleinen Tätowierung
kostet viel Geld. Manche Aussteiger sind von Kopf bis Fuß übersät mit
neonazistischer Symbolik. Manchmal übersteigen die Fälle derart die
Möglichkeiten, dass nicht einmal ein Kostenvoranschlag angefertigt wird,
wohlwissend, dass diese Summen eigentlich niemals aufzubringen sind.
„Nazis in Klebestreifen:“ Bühne frei für den unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands!
Es gibt kaum einen besseren Ort, um sich ein Bild über „Nazi-Tattoos“ zu
machen, als einen Neonazi-Aufmarsch bei warmen Temperaturen. Stichwort
„kurze Hosen“: Bei Neonazi-Aufmärschen sind nicht nur per
Strafgesetzbuch verfassungsfeindliche Symbole verboten, sondern zu
großen Teilen auch extrem beliebte Zahlen-Codes, Merkmale, Sprüche und
sonstige, eigentlich strafrechtlich unbedenkliche Zeichen dürfen per
Auflage nicht gezeigt werden. Natürlich geht hier nicht „mal eben
überstechen“. Notgedrungen müssen sich die Rechtsradikalen mit nicht
sehr modischen Klebestreifen, oder eigentlich längst aussortierten
NPD-Aufklebern aushelfen, die den Hals oder die Hände, manchmal aber
sogar die Stirn oder sogar den Gesichtsbereich überdecken. „Nazis in
Klebestreifen“. Das hat an sich schon etwas humorvolles.
Und so verwundert es wenig, dass sich die Initiative „Rechts gegen
Rechts“ genau einen solchen Aufmarsch nun zum Anlass nimmt, auf die
Komplexität des Themas aufmerksam zu machen.
Die Bühne: Am 1. August demonstrieren im niedersächsischen Bad Nenndorf
wieder Neonazis aus dem Umfeld der freien Kameradschaften. Hier geht es
wenig um Bürgerfang, der Aufmarsch hat einen tiefen
nationalsozialistischen Hintergrund. Es geht um Täter- und
Opferverdrehung im zweiten Weltkrieg, es geht um Rache an den
Alliierten, es geht um Leugnung deutscher Schuld und eine öffentliche
Verhöhnung nahezu aller Opfer des Krieges und der Nazi-Diktatur.
Der „unfreiwilligste Spendenlauf Deutschlands“ stieß ganz besonders bei
seiner ersten Durchführung in Wunsiedel (Bayern) auf ein enormes,
weltweites Medien-Echo und viel positive Beachtung.
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Anders als beim ersten Lauf, als die Neonazis „für ihren eigenen Ausstieg“
liefen, sollen sie hier schon konkretere Hilfen leisten. Die Formel
lautet „1 Minute Aufenthaltszeit =10 EUR = 1cm2“.
Bedeutet: Ein Neonazi versucht zu demonstrieren – und finanziert damit
höchstpersönlich einem Aussteiger einen Quadratzentimeter Nazi-Tattoo-Entfernung.
Es ist also theoretisch möglich, dass ein rechtsradikaler Hobby-Tätowierer, der am Aufmarsch in Bad Nenndorf teilnimmt, an diesem Tag ein kleines bisschen Wiedergutmachung leistet.
Es ist also theoretisch möglich, dass ein rechtsradikaler
Hobby-Tätowierer, der am Aufmarsch in Bad Nenndorf teilnimmt, an diesem
Tag ein kleines Bisschen Wiedergutmachung leistet.
Die Initiative will dem jeweiligen, tätowierten Neonazi hingegen nicht
dabei helfen, künftig ohne Klebestreifen auf der Haut an Aufmärschen
teilnehmen zu können. Es geht auch hier um Deradikalisierung und
Ausstiegsperspektiven. „Verantwortung übernehmen und Anreize schaffen
zur Entfernung“, sagt Fabian Wichmann, Mitarbeiter von EXIT-Deutschland.
„Niemand darf sich der Illusion hingeben, wir würden ohne Weiteres die
vollen Kosten für eine ‘neue Tätowierung’ übernehmen. Aber es gibt eben
in unserer täglichen Ausstiegsarbeit Fälle, die unsere Grenzen
übersteigen. Über den Spendenlauf soll hier die Möglichkeit einer
Zufinanzierung geboten werden.“
Wichmann dankt an dieser Stelle besonders einem Netzwerk von
Tattoo-Künstlern, die sich bereiterklären, zu helfen und hofft, dass es
über diese Aktion vielleicht sogar noch einige mehr werden. Rechts gegen
Rechts ist weiterhin auf Unterstützung von außen angewiesen. „Die
vergangenen Spendenläufe haben gezeigt, dass es eine enorme
Spendenbereitschaft gibt. Wir hoffen natürlich, dass sich weiterhin
viele Spender und Netzwerkpartner melden.“
*=Name geändert
Weitere Infos:
Weitere Informationen (in Kürze auf der neuen Seite):
rechtsgegenrechts.de
Fabian Wichmann, ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, E-mail:
0177 2404806
Jürgen Uebel, Bad Nenndorf ist bunt, E-mail:
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bad-nenndorf-ist-bunt.com